Freiheit für Handwerker! Gewerbeordnung hat einen Teil der Wirtschaft fest im Griff
Die Gewerbeordnung hat einen Teil der Wirtschaft fest im Würgegriff. Das hundertfünfzig Jahre alte Regelwerk verteidigt wohlerworbene Rechte, treibt skurrile bürokratische Blüten und ist ein echter Wachstumsbremser. Deswegen soll es jetzt wieder einmal reformiert werden.
Franz Baumann ist kein Anarchist und auch kein politischer Desperado. Er ist ein Unternehmer, wie er im Büchl steht: innovativ und erfolgreich, modern und am letzten Stand der Technik. Er baut Hightech-Glasfassaden und Glasdächer, restaurierte das Wiener Palmenhaus, setzt auf Sonnenenergie und Passivhäuser. 115 Mitarbeiter hat sein Gewerbebetrieb, schon 2006 wurde er vom trend als innovativer Unternehmer ausgezeichnet.
Er hätte allen Grund, auf seinen Erfolg stolz zu sein und ihn still zu genießen. Was er aber nicht tut. Franz Baumann beschwert sich bitter – und zwar über die Schikanen, die die österreichische Gewerbeordnung für ihn bereithält. Sein Problem: Als einer, der mit vielen Materialien und Werkstoffen arbeitet, braucht er nicht nur den Gewerbeschein für das Glasereigeschäft, sondern auch jenen für Metalltechnik und Schlosser, den für Spengler und Zimmermeister und einen für sein Ingenieurbüro und die EDV-Systemtechnik. Baumann hat Sorge, dass er bald auch den Gewerbeschein für Dachdecker lösen muss: „Schließlich klettern wir ja oft genug da oben herum.“ Und da er seine Glasfassaden mit Hightech-Lamellen ausstattet, die von kleinen Elektromotoren angetrieben werden, muss er sich wohl auch bald den Gewerbeschein für Elektrotechniker besorgen. Was er besonders pikant findet, denn schon öfters passierte es, dass der zwangsläufig extra herangezogene konzessionierte Elektriker mit der neuen Technologie gar nicht klargekommen ist: „Da gibt es eben welche, die machen seit dreißig Jahren immer nur das Gleiche und sind nicht am Stand der Technik, dürfen aber sehr wohl das tun, was wir nicht tun dürfen.“
Alles steht kopf, und niemand kennt sich mehr aus. Ein Schlossermeister, der Fenster verglast, braucht eine Glaserer-Konzession; ein Industriebetrieb dagegen, der in großem Stil Fensterrahmen und Fenster erzeugt, braucht – gar nichts. Baumann: „Es ist eine doppelbödige Moral, die da herrscht.“
Nichts als Schildbürgereien. „Kakanisch“, „vorgestrig“, „weltfremd“: Mit wenig adelnden Worten wird die aus dem Jahr 1859 stammende, hundertmal novellierte Gewerbeordnung häufig bedacht. Nach den kürzlich für den ÖVP-Wirtschaftsbund erfolgreich geschlagenen Wirtschaftskammerwahlen wird jetzt die Forderung nach Entstaubung des Regelwerks wieder lauter. Der Wirtschaftsminister verspricht bereits Lockerungen. Noch ist das aber Zukunftsmusik. „Junge Wilde“ fühlen sich von unnötigen Zugangsbarrieren, mit denen alteingesessene Betriebe vor neuer Konkurrenz geschützt werden sollen, wie von Schlangen erdrückt.
Eine, die davon ein Lied singen kann, ist Rita Newman, eine der arriviertesten heimischen Fotografinnen. Die Kunstgeschichte-Absolventin hat zahlreiche Preise eingeheimst, fotografiert für große Unternehmen ebenso wie für die öffentliche Hand. Vor einiger Zeit, so erzählt sie erbost, wurde ihr angeboten, in einem großen Museumsprojekt einen Stand für Besucherfotografie zu entwickeln. Voraussetzung dafür: ein Gewerbeschein – der wiederum nur mit Meisterprüfung zu bekommen ist.
Von der Innung erhielt sie die mündliche Zusage für eine Ausnahmeregelung, nahm darauf prompt einen Kredit über 80.000 Euro auf – und wartete danach demütig auf das heiß begehrte Papier. Allerdings: In der Innung wollte sich plötzlich niemand mehr an die Zusage erinnern. Das Projekt wurde abgeblasen, ein halbes Jahr Arbeit und ein Haufen Geld waren dahin. „Ich habe eine große Wut auf diese Art des Denkens“, sagt Newman. Was ihr nicht zu verdenken ist.
Die Situation könnte grotesker nicht sein: Eine Künstlerin darf ohne Gewerbeschein Fotos machen und verkaufen, allerdings nur „künstlerische Fotos“. Ein Grafiker darf seine Bilder ebenfalls verkaufen, allerdings nur eingebettet in ein von ihm produziertes Druckwerk. Eine ausgelernte, freiberufliche Fotografin aber, die bei Presseterminen fotografiert, darf ihre heiße Ware keiner Zeitung anbieten. Das darf nur ein Fotografenmeister – auch wenn seine Prüfung vierzig oder mehr Jahre zurückliegt.
In vielen Berufen behindert die heilige Ordnung Professionisten wie deren Kunden. Ein Maler darf nicht einmal eine Rigipswand aufstellen; dafür muss ein Maurer (oder halt ein Pfuscher) her. Eine Absolventin einer Modeschule mit Maturaabschluss arbeitete über mehrere Jahre in diversen Modeketten als Schneiderin; selbstständig durfte sie sich danach dennoch nicht machen – es fehlte die Meisterprüfung.
Die Liste schwer verständlicher Berufsverbote liest sich wie eine Story aus dem Land der Schildbürger. So darf – auch das ein Fall aus der Praxis – ein Produzent von Leuchtreklamen mit seinen Gewerbescheinen alles, außer seine Reklameschilder selbst bemalen. Das dürfen nämlich nur Schildermaler. Eine Nageldesignerin darf Fingernägel lackieren, nicht jedoch Fußnägel; dazu müsste sie konzessionierte Kosmetikerin sein. Oder: Ein technisch bestens geschulter und ausgebildeter türkischer Hubschrauberpilot wollte in Österreich ein Computer-Reparaturgeschäft eröffnen. Pech: Es fehlt ihm eine dreijährige Arbeitspraxis als Mechatroniker.
Volker Plass kann sich ziemlich erregen, wenn er über die von ihm penibel aufgelisteten Fälle spricht. „Die Gewerbeordnung ist eine meist völlig unnötige Zugangsbarriere zum Beruf“, wettert der Grafiker und Chef der „Grünen Wirtschaft“. Seine Forderungen klingen für Alpenrepublikaner fast umstürzlerisch: Handwerkliche Tätigkeiten, die im Alltag ohnedies flächendeckend von Pfuschern und Heimwerkern ausgeführt werden, sollen gänzlich freigegeben werden. Das würde vielen „schwarzen“ Fliesen- und Bodenlegern, Tischlern, Gärtnern und Malern den Umstieg ins Profitum ermöglichen, glaubt Plass. Bäcker, Schneider, Kürschner oder Schuhmacher sollten ohne Meisterprüfung ein gutes Geschäft machen dürfen – und zwar legal. Auch in der Gastronomie, bei Reisebüros, Uhrmachern, Orgelbauern oder Goldschmieden sieht er keine Notwendigkeit für eine Reglementierung mehr. „Das sind zum Teil jahrhundertealte Kulturtechniken. Entscheidend ist doch nur, ob sich ein Fachmann auskennt und weiterbildet.“
Angst vor Billig-Konkurrenz. Natürlich gibt es auch Widerspruch zu solch radikaler Liberalisierungsoffensive. Eduard Radanovic, Inhaber einer kleinen Goldschmiedewerkstatt am Wiener Kohlmarkt, sieht für seine Zunft nicht wirklich Veränderungsbedarf. „Eine gewisse Basis wird mit der Meisterprüfung schon gelegt“, glaubt er. Ein fachliches Mindestniveau scheint ihm dadurch garantiert: „Sonst kommen zu viele, die sich mit fremden Federn schmücken.“
Seine Meinung ist auch die seiner Standesvertretung. Die Wirtschaftskammer (WKO) beschwört den Status quo – dass es nämlich im Wesentlichen bei der Zahl von derzeit 80 „geregelten Berufen“ bleiben soll. Helmut Heindl, in der WKO zuständig für Handwerk und Gewerbe, warnt davor, dass „Österreich den guten Ruf seines Handwerks nicht aufs Spiel setzen darf“. Die WKO bemüht das „geringere Insolvenzrisiko“ nach absolvierter Meisterprüfung und führt einen quasi garantierten Mindestschutz für Konsumenten ins Treffen – alles Argumente, die aus Sicht vieler Kleinunternehmer ihre Berechtigung haben.
Die Liberalisierungsbefürworter sind in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit am Vormarsch. Karl Aiginger, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts, nimmt sich da kein Blatt vor den Mund. „Österreichs Politik hat bisher im Zweifel mehr den Schutz der Wettbewerber gesucht als den Schutz des Wettbewerbs“, formuliert er trocken. Und verweist darauf, dass Schutz vor zu viel Wettbewerb – und nichts anderes bedeutet eine restriktive Gewerbeordnung – „besonders die Chancen von jungen Unternehmern und Arbeitnehmern reduziert“: in Zeiten höchster Jugendarbeitslosigkeit mehr als fahrlässig. Die Bedeutung des Wettbewerbs für Arbeitsplätze und Innovationen werde nicht genügend erkannt, so Aiginger – und: „Ohne die Liberalisierungsdefizite könnte die gesamtwirtschaftliche Produktivität mittel- bis langfristig um 0,4 Prozent pro Jahr rascher wachsen.“
Die herrschende Gewerbeordnung als ausgewiesene Wachstumsbremse: Da wird sogar der Wirtschaftsminister munter. Reinhold Mitterlehner setzt dieser Tage immerhin eine Arbeitsgruppe zur Reform der Gewerbeordnung ein. Ziel ist, alte Zöpfe abzuschneiden. Der Vorsatz Mitterlehners klipp und klar: „Wir arbeiten an einer echten Liberalisierung und werden das Projekt noch vor dem Sommer der Öffentlichkeit präsentieren.“
Quelle: Von Othmar Pruckner